Heimkehr zur Stille

 

Der Ruf der Stille hat mich erreicht. Seit längerer Zeit schon kam in mir dieser Wunsch auf, einfach mal unterzutauchen, für mich zu sein. Nur für mich allein, fernab von jeglichen Ablenkungen. Ich hatte am Anfang dieses Septembers die Möglichkeit, eine “Stille Woche” inmitten der Tessiner Natur zu besuchen. Auch bekannt als “Vipassana”, eine uralte östliche Meditationspraxis, welche normalerweise 10 Tage dauert. Während einer solchen Praxis wird auf das Sprechen verzichtet, man meditiert alleine und beschäftigt sich nur mit sich selbst. Kontakt zu anderen Menschen wie Blickkontakt oder  Gestik  wird vermieden. Normalerweise sind auch keine andere Aktivitäten wie lesen oder schreiben erwünscht.

Bei meinem 7 tägigen Retreat war es aber erlaubt, zu schreiben oder in der Natur zu verweilen.


Als die Stille sich näherte, verspürte ich eine Nervosität. Eine Angst, es nicht zu schaffen oder durchzudrehen, ein mulmiges Gefühl im Vorfeld. Welches sich aber kurz nach der Ankunft auflöste.



IMG_5670.JPG

Meine Beweggründe

Da war dieses starke Gefühl in mir, dass ich etwas verändern möchte. Die eigenen Grenzen erkennen, die mich davon abhalten, im Leben voran zu schreiten. Immer wieder wurde ich mir meiner inneren Unruhe bewusst und dieser wollte ich auf die Spur gehen. Da wurde mir klar, dass ich einfach mal weg von allem möchte, weg von Arbeit, Medien und Ablenkungen. Vor allem war da eine starke Sehnsucht, wieder klar zu werden gegenüber meinen Wünschen und Zielen im Leben.

Ankunft am Berg Ashram

Nach einer knapp zweistündigen Wanderung kam ich am Eingangstor des Meditationszentrums an. Herzlich und mit grossem Lachen wurde ich von Krishna Chandra empfangen, welcher diesen Ashram vor knapp 15 Jahren gründete. Er lebt dort mit einer kleinen Gemeinschaft, die immer wieder gerne Pilger zum Meditieren aufnehmen. Sie verfügen über eigenen Solarstrom, Quellwasser und bewirtschaften einen grossen Garten, wo sie viele Blumen, Gemüse und Kräuter wachsen lassen. Ananda-Dham ist ein kontemplativer Ort der Besinnung und Ausrichtung inmitten der Tessiner Natur. Diesen Ort durfte ich durch eine gute Kollegin aus Bellinzona entdecken, welche des öfteren den Ashram auf Wanderungen besuchte. Die Gemeinschaft ist im “Radha-Krishna-Bhakti” vertieft. Die Verbindung zum Göttlichen steht hier für die Gemeinschaft groß im Zentrum. Es hat einen wunderschönen Tempel, in welchem jeden Tag Krishna verehrt wird. 

Der Tagesablauf sah wie folgt aus:

06:00  Morgenmeditation

10:00 Frühstück und anschließende Lesung   - meditative Begleitung in den Tag

17:30 Abendessen 

19:00 Lesung und Ausklang des Tages mit Kirtan und Bhajans. (Mantra singen)

Ashram Ananda-Dham im Tessin

Ashram Ananda-Dham im Tessin

Vorbereitung

Mit Meditation bin ich bereits vertraut. 

In der Woche vor Beginn des Retreats meditierte ich jeden Morgen nach dem Aufstehen und jeden Abend vor dem zu Bett gehen 15 bis 20 Minuten. Zudem verzichtete ich auf Medienkonsum und Alkohol.


Innere Wiederstände

Nach dem ersten Tag war ich komplett erschöpft. Mein Körper und Geist war nicht gewohnt um 5.30 Uhr morgens aufzustehen. Am Nachmittag fiel ich einfach auf den Waldboden für mehrere Stunden in einen Tiefschlaf. 

Am zweiten Tag konnte ich ohne Problem früh aufstehen und den Tag angehen. Die grosse Freizeit von 11:00 bis 17:30 war eine grosse Freude aber zugleich auch eine Herausforderung. Was soll ich mit der ganzen Zeit anfangen? Ich verweilte im Wald, am Fluss und auf Wanderwegen. So viele Gedanken... In solch anstrengenden Momenten versuchte ich immer das Ganze zu beobachten und mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Ist leichter gesagt als umgesetzt. Ich wusste, dass meine langen Wanderungen dazu dienten, meinen Geist müde zu bekommen. Somit versuchte ich während den letzten Stille Tagen mich weniger zu bewegen. Da meditierte ich 3 bis 4 Stunden am Fluss. Das Zeitgefühl löste sich wortwörtlich auf. Das Rauschen des Flusses liess mich alles vergessen.

Meine Jurte während der Stille Woche

Gott im Zentrum

Der Fokus an diesem Ort war Gott. Dies hat dazu geführt, dass ich mir wirklich angefangen habe Gedanken zu machen: “An was glaube ich?”, “Was ist Gott für mich?”. Um ehrlich zu sein, entstand da ein innerer Konflikt. Der Besuch in einer Kirche oder Beten ist für mich kein alltägliches Ritual. Mit der Auseinandersetzung solcher Fragen konnte ich dann wieder Frieden finden.

Ausklingen

Viele Tiere wie Siebenschläfer, Marder, Eidechsen, Kröten und Eichhörnchen kamen während der Stille immer näher zum Ashram und hatten überhaupt keine Angst mehr vor den Menschen. Es war spannend diese Lebewesen zu beobachten. Die Naturverbundenheit wurde mit den Tagen immer intensiver. Das Zeitgefühl hatte stark abgenommen und dieser Planungsdruck, was mache ich jetzt und was mache ich danach, hat sich verflüchtigt. Ein innerer Frieden und tiefe Gelassenheit haben sich ausgebreitet. Am Sonntag morgen nach der gemeinsamen Meditation wurde das Schweigen gebrochen.

Meditieren am Fluss

Meditieren am Fluss

Rückkehr

Die Rückkehr war voller Glücksgefühle. Schritt für Schritt wieder runter ins Tal. Der Bus der von Golino wieder nach Locarno fuhr, war vollgestopft von Menschen und lauten Gesprächen. Da war ich erstmals wieder überfordert mit all den Geräuschen. Es hat sich dann aber alles wieder mit der Zeit eingependelt.

Beitrag von Evelyn

 
Interviewssilvia jäggi