Was du wissen solltest über Sexualität

 

Hetereosexuell, homosexuell, bisexuell, transsexuell, pansexuell, asexuell, Monogamie, Polyamorie … In der heutigen Gesellschaft findet sich ein enorm reicher Wortschatz für jegliche sexuelle Orientierung und Beziehungsform. LSBT*Q; Warum brauchen wir so viele Begriffe? Warum stellen wir uns vor unserem Outing so viele Fragen? Welche Rolle spielen Akzeptanz und Toleranz? Welchen Einfluss hat die Kultur auf die Sexualität? Ist Sexualität nach wie vor mit einem Tabu verbunden?

Diese Fragen zu dieser Thematik sind allgegenwärtig im Leben von Teenagern und eigentlich sogar von der ganzen Gesellschaft. In diesem Blogbeitrag soll es aber nicht um allgemeine Fragen, sondern um meine persönlichen Erfahrungen, die ich als homosexueller Mann bereits erlebt habe.


Identität & Selbstbild

Mit der Sexualität definieren wir uns selbst. Die jeweilige Sexualität ist ein Teil des Selbst- und Fremdbildes. Ansichten, Meinungen und Vorurteile werden daraus geschlossen. Sexualität ist aber nicht nur die körperliche Aktion zwischen zwei Menschen, sondern hat einen grossen Einfluss und Zusammenhang mit Emotionen. 

Sehr früh in meiner Entwicklung fühlte ich mich zu meinen männlichen Kollegen, körperlich mehr hingezogen, als zu meinen Freundinnen. Was dieses Gefühl aber genau zu bedeuten hatte, war mir da noch nicht klar. Als die Pubertät allmählich anfing, wurde die Neigung zum gleichen Geschlecht immer stärker, jedoch hatte ich Angst, jemandem davon zu erzählen, denn weder in meiner Klasse, meinem Freundeskreis noch in meiner Familie gab es «einen Schwulen».  

Wegen meines Erscheinungsbildes wurde ich während der Schulzeit immer wieder darauf angesprochen, ob ich auf Männer stehe. So zum Beispiel am Anfang der Kantizeit. Die Mädels in meiner Klasse wetteten, dass ich mich bis zum letzten Schuljahr outen würde. Obwohl sie dies in keiner Weise böse meinten, war mein Gedanke trotzdem: «Denen zeige ich, dass ich nicht schwul bin.» Auch meine Mama kam völlig unerwartet mit dem Satz: «Tom, du sollst wissen, dass du immer zu mir kommen kannst und ich dich immer lieben werde, auch wenn du schwul bist.» Natürlich versicherte ich ihr in diesem Moment, dass dies bestimmt nicht der Fall ist. 

Was trieb mich dazu, nicht dazu stehen zu können? Warum hatte ich Angst meine echte Persönlichkeit zu zeigen? Es war die Angst, Freunde oder sogar einen Menschen aus der Familie zu verlieren, die Angst plötzlich in einem anderen Licht dazustehen, die Angst vor Beleidigungen. Die Ängste überwogen damals meine Selbstsicherheit und meine Selbstliebe.

Das Outing

Im Teenageralter (zwischen 14 – 17) erlebte ich viel Gefühlschaos und stellte mir selbst immer wieder die Fragen: Wer bin ich? Was will ich? Was liebe ich? Die Frage nach meiner sexuellen Anziehung war dabei ein ausschlaggebender Faktor. Ich erlebte in dieser Zeit in meinem Freundeskreis und meiner Klasse eine Offenheit gegenüber dem Thema Sexualität. Ich erlebte, wie sich Freundinnen bei mir outeten, ich sah wie mein Gesangslehrer mit seinem Mann lebte, ich führte offene Gespräche über Sex, Gefühle und Beziehungen. Aus diesen Momenten wurde mir bewusst, dass ich mich selbst akzeptieren muss, bevor ich das von irgendjemand anderem erwarten durfte. 

Mit 17 Jahren wagte ich es endlich und erzählte meiner Familie und meinen Freunden, dass ich homosexuell bin. Der Weg dazu war steinig und alles andere als einfach. Die Reaktionen und die Unterstützung, die Liebe und die Akzeptanz von allen war ein Gefühl von vollkommenem Glück und Erleichterung. Völlig überrumpelt von den positiven Reaktionen spürte ich, dass alle hinter mir stehen und meine Sexualität nicht ausschlaggebend ist für mein Fremdbild. «Ich will mich nicht länger verstecken.»

Heute stehe ist etwas zwiespältig zum Begriff «Outing». Es besteht ein gesellschaftlicher Druck oder ein  starkes Verlangen, dass man sich als queere(*) Person outet. Vielmals wird jedoch von den Freunden und der Familie nicht verstanden, was alles stimmen muss, damit man endlich bereit ist, seine wahre Persönlichkeit zu zeigen. Ebenso ist «Outing» ein sehr einseitiger Begriff. Noch nie hat sich ein heterosexueller Freund bei mir so vorgestellt, weshalb sollte man dies also als Queer (*) tun?

Akzeptanz & Toleranz

Immer wieder hören wir, dass den Queers (*) noch zu wenig Akzeptanz und Toleranz entgegengebracht wird. Ich möchte hier einmal betonen, dass der erste Schritt von Akzeptanz und Toleranz bei sich selbst beginnen muss. «Liebe dich selbst so wie du bist und vertraue darauf, dass die anderen dich genauso lieben werden! Liebe und behandle deine Mitmenschen genauso wie du auch behandelt werden willst.» Mir ist bewusst, dass es einfach gesagt ist und in der Praxis viel Zeit und Mut braucht und man auch auf Widerstand stossen wird. 

Gesellschaftliche Normen, Kultur, Tradition und soziale Konstellationen spielen eine grosse Rolle. Sexuelle Vorurteile und Meinungen überschreiten aber auch Generationengrenzen. Viele negative Ansichten, die aktuell noch existieren, finden den Ursprung bei unseren Grosseltern und Eltern. Früher lernte man, dass Fragen stellen und Neugier nicht anständig sei. Über sehr viele Themen wurde Stillschweigen gewahrt. So auch über sexuelle Neigungen und Vorlieben. Diese Art von Tabuisierung ist bis heute in den Köpfen der älteren Generation verankert. 

Wir müssen uns davon abnabeln und unseren folgenden Generationen zeigen, dass man als Gemeinschaft Leben kann und dass Ausgrenzung und Gewalt, aufgrund von Sexualität, keinen Platz mehr hat in unserer Gesellschaft. Queers haben schon immer existiert, nur leider wurde das Thema von den älteren Generationen unter den Teppich gewischt. 

Unser Zeitgeist heisst: «Immer moderner, immer schneller, immer neuer». Wie ein Wirbelsturm prasselt die Moderne auf die älteren Generationen ein und zerstört gesellschaftliche Konventionen, Normen und Traditionen. Wir dürfen nicht nur Forderungen stellen, sondern müssen Verständnis dafür aufbringen, dass dieser Wandel nicht einfach ist und bestimmt noch mehrere Generationen brauchen wird, bis Neuheiten in der Gesellschaft verankert sind. 

Nach diesem Generationensprung möchte ich auf meine persönlichen Erfahrungen von Ausgrenzung und Gewalt zu sprechen kommen. Gemobbt und verletzt fühlte ich mich und wurde ich zum Glück eigentlich nie. Es gab jedoch zwei Situationen, welche mir geblieben sind. Ich war in der Kanti während einer Pause auf dem WC. Als ich gerade am Hände waschen war, kam ein anderer Typ hinein und sagte zu mir, mit einem bösen Grinsen im Gesicht: «Du hast dich im WC geirrt. Das Frauen-WC ist nebenan.»

Das zweite Erlebnis machte ich auf offener Strasse, als ich an einem Auto vorbeilief, das an einer roten Ampel wartete. Die Jungs im Auto liessen die Scheiben runter und riefen mir zu: «Du Schwuchtel. Gaylord. Schwanzlutscher.» Ich kannte keinen der Insassen.

Solche Erlebnisse sind leider Bestandteil des Alltages unserer Gesellschaft. Viel zu schnell verwenden wir das Wort «schwul» in unpassenden Situationen, in denen es vor allem gar nicht um Sexualität geht, sondern einfach wenn etwas schlecht ist. 

Leider ist es eine Utopie, wenn wir von einer offenen und toleranten Gesellschaft sprechen. Wenn man hört, was in Schulen und im Alltag alles geschieht, können wir unmöglich davon ausgehen, dass wir versuchen eine tolerante Gesellschaft zu bilden.

Was es noch alles braucht, damit alle leben können wie sie wollen? Diese Frage bleibt auch für mich ein grosses Rätsel. Wichtig ist aber, dass man sich davon nicht unterkriegen lässt. Ich bin überzeugt, dass wir von der Generation Z ein Vorbild sein sollten und den nächsten Generationen zeigen sollten, was es bedeutet «leben und leben lassen». Versuchen wir doch uns mit allem zu versöhnen und unser Leben  mehr dem Herzen unter zu ordnen, als dem Verstand.

Beitrag von Tom

 
Interviewssilvia jäggi